Die Sommerferien als Jurastudent sind lang und man weiß neben Praktika und Hausarbeiten gar nicht, was man mit seiner ganzen freien Zeit so anfangen soll. Naheliegend sind Schwimmreisen nach Mallorca, Alpenüberquerungen oder Tagesausflüge nach Berlin und Barcelona. Nicht so naheliegend ist eine Sprachkursreise in die ehemalige Hauptstadt Russlands. In treuer Tradition dieses Blogs, entschied ich mich selbstverständlich für die ungewöhnlichere Reise und startete Anfang August vom schludraigsten Flughafen der Republik (Berlin Schönefeld) in das Zarenreich Putins.
Stressgeplagt stiefelte ich vom Flugzeug Richtung Passkontrolle, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich nur mit Pass und Visum in das sonst recht abgeschottete Russland einreisen könnte. Mit zitternden Beinen stand ich vor dem Grenzbeamten und merkte schon nach 30 Sekunden, dass ich den Stressschweiß ganz umsonst ausgeschwitzt hatte, denn keine Einreise klappte bis jetzt so schnell und problemlos wie die nach Russland. Nachdem ich meinen monströsen Koffer vom Band gehievt hatte, traf ich am Ausgang mit drei weiteren Sprachschülern zusammen und wir wurden mit dem Minibus der Fahrschule in der ganzen Stadt bei unseren Gastfamilien verteilt. Ich wohnte gemeinsam mit einem anderen Deutschen sehr zentral bei der netten Gastfamilie Losev. Während Vater und Sohn es sich drei Wochen im Wohnzimmer gemütlich machten und die Mutter die Zeit auf der Datscha verbrachte, entspannten wir uns in den geräumigen Schlafzimmern der Familie. Recht schnell merkte man, dass die Familie vor den Sanktionen der Europäischen Union recht gut verdient und es zu einigem Wohlstand und Skireisen nach Deutschland gebracht hatte und nun Gastschüler zur Finanzierung ihres Lebens brauchte. Ich kann mich jedenfalls bei Frau Merkel und Co. nur bedanken, denn ohne Ein- und Ausfuhrverbote für die Russische Föderation hätte ich nicht so eine tolle Zeit in St. Petersburg gehabt. Nicht nur, dass der Gastvater lecker und viel kochte und gerne mit mir über Politik in Russland und Deutschland diskutierte, auch waren die Preise im Vergleich zu anderen europäischen Millionenstädten übertrieben günstig. In unserer Lieblingsabsteige ganz im Stadtzentrum, der „Kontakt-Bar“ kostete der halbe Liter Bier gerade einmal 1, 50 €, sodass schon viel Alkohol verköstigt werden musste, um die geldbörsliche Schmerzgrenze zu erreichen.
Natürlich war ich nicht nur zum Essen und Trinken in Russland, sondern wollte auch meine Sprachfähigkeiten im Russischen etwas aufpolieren. Die Sprachschule (wie so alles, auch im Zentrum gelegen) war dafür bestens geeignet, denn die Lehrerin der zehnköpfigen Gruppe war sehr nett und das Lernen in der sympathischen Gruppe machte sehr viel Spaß. Dafür mussten wir aber auch jeden Tag von 10.00 bis 14.40 im Lernzimmer hocken und uns mit russischen Vokabeln (schlimm) und der russischen Grammatik (schlimmer) auseinandersetzen. Während in der ersten Woche die Motivation noch sehr hoch war und alle Hausaufgaben gewissenhaft erledigt wurden, flachte die Lernbereitschaft im Laufe der Zeit etwas ab und die letzten Tage im Sprachkurs waren ein reines Rumgewurschtel.
Das lag jedoch nicht (nur) an jugendlicher Faulheit, sondern gründete in der Tatsache, dass Sankt Petersburg eine wunderschöne Stadt ist, die so allerhand zu bieten hat. Jeden Tag aufs Neue kann man übersehene Sehenswürdigkeiten entdecken und spontanen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit beiwohnen. Eine Aufzählung aller Erlebnisse wäre selbstverständlich viel zu lang und ich beschränke mich auf die Highlights. In die Liste meiner absoluten Top-Favoriten kommt auf jeden Fall die beeindruckende Ermitage, in der man mit staunendem Blick von einem riesigen, traumhaft dekorierten Saal in den nächsten stolpert und erschlagen wird von Glanz und Gloria. Und das eintrittsbefreit als Studierender! Diese Einlasspolitik kommt auch dem Umstand zugute, dass man die Ermitage mehrmals besuchen muss, um wirklich alle ausgestellten Stücke erblicken zu können. Noch mehr Zeit als in Museen verbrachte ich jedoch an den Ufern der Neva im Stadtinneren. Besonders bei Nacht, wenn die ganzen hübschen Gebäude mit nettem Licht angestrahlt werden und man aufgrund des breiten Wassers ein glanzvolles Panorama vor sich hat, gibt es wohl keinen besseren Ort, um Bier aus Papiertüten zu genießen (in Russland möchte man wohl dem etwas problematischen Alkoholkonsum der Bevölkerung Einhalt gebieten und nun darf man weder nach 22.00 Uhr noch Alkohol im sonst 24/7 geöffneten Supermarkt erstehen, noch in der Öffentlichkeit seinen Wodka ohne Papierummantelung trinken). Bei den nächtlichen Spaziergängen sollte man jedoch aufpassen, dass man sich zur richtigen Zeit auf der richtigen Insel befindet. Denn von etwa 2 Uhr bis 5 Uhr in der Früh klappen alle großen Brücken der Stadt nach oben, um dicke Transportschiffe passieren zu lassen. Verpasst man die Brückenöffnung ist man auf der falschen Seite gefangen und einem bleibt nur übrig, entweder bis zum Morgengrauen auszuharren oder ein Taxi zu nehmen, mit dem man in einem irrwitzigen Umweg noch vor Brückenöffnung nach Hause finden kann.
Tagsüber ist der Verkehr sehr viel praktischer ausgestaltet und man kann mit seiner aufladbaren Chipkarte jedes öffentliche Verkehrsmittel ganz nach Belieben nutzen. Am schnellsten unterwegs ist man wohl mit der Metro, die im Zwei-Minuten-Takt die Millionen Einwohner Petersburgs tief unter der Erde in ohrenbetäubender Lautstärke von A nach B bringt. Um mit der schnellen U-Bahn fahren zu können, muss man aber erst einmal drei Minuten lang auf der langsamen Rolltreppe ausharren. Während die Nerv tötende Fahrt in Pärchen scheinbar etwas Reizvolles hervorrief und sie zum Liebkosen und Schmusen animierte, stand ich ungeduldiger Deutscher unruhig dem Ende entgegensehnend und konnte es kaum erwarten, an der Rolltreppenbeobachtungsundsicherungsfrau am Ende der Monsterstufen vorbeizulaufen. Die Rolltreppenbeobachtungsundsicherungsfrau sitzt in einem Glaskasten am Ende der langen Rolltreppe und beobachtet den lieben langen Tag die Rolltreppenfahrenden und soll wohl für Ruhe und Ordnung auf dem Fortbewegungsmittel sorgen. Die Zeit, die man sich beim Fahren unter der Erde einspart, verliert man jedenfalls auf dem Weg aus den Atombunkern (eine mögliche Verwendung der U-Bahn-Stationen), sodass man auch gleich getrost Bus oder Bahn fahren kann. Das macht mehr Spaß, denn man sieht nicht nur dunkle Tunnelwände, ist aber lautstärketechnisch auch nicht viel angenehmer, denn die Trams und Omnibusse aus Sowjetzeiten brummen und quietschen so laut, dass man keine Sorge haben muss, in dem omnipräsenten Abgasqualm in den Schlaf zu fallen. Auch die vielen Tourischiffe auf der Neva und ihren Nebenflüssen und Kanälen tragen dazu bei, dass die Luftqualität unterirdisch ist und man weiß die in Deutschland (normalerweise) eingehaltene Grenzwerte der EU zu schätzen.
Aus Sankt Petersburg raus schaffte ich es nur an den Wochenenden und besuchte den Katharinenpalast in Puschkin. Dieser ist von außen sehr nett anzusehen und man kann ganz frivol durch die, von Touris doch ganz gut gefüllten, Parkanlagen schlendern. Im Vergleich zu der Ermitage sind die Innereien des Palastes jedoch beinah etwas langweilig und einfältig. Auch das (nachgemachte) Bernsteinzimmer steht zwar seinem Vorgänger bestimmt in nichts nach, erfüllt jedoch nicht die immensen Erwartungen, die man an seine Besonderheit stellt. Insgesamt spannender war der Ausflug an den Losevo-See, eine Stunde nördlich der Stadt. Nur besucht von etwas wilden Russen auf Jet-Skis, liegt das Wasser romantisch und ruhig eingerahmt von schönen Bäumen in der Sonne und lädt zum gemütlichen Schwimmen ein. Auch Ruderboote konnte man sich sehr günstig mieten und den nachherigen Muskelschmerz mit leckerem Bier etwas lindern. Nur die Rückfahrt im stickigen Zuckelzug macht angetrunken weit weniger Spaß als gedacht und es sollte ein Alkohollevel weit unter oder über 1 ‰ gewählt werden.
Ich merke gerade, dass der Blogeintrag wohl der längste bisher geschriebene ist und möchte abschließend nur noch allen Lesern und Leserinnen einen Ausflug nach St. Petersbug ans Herz legen. Die Stadt ist wirklich schön und gut bereisbar. Lassen sie sich nicht von unfreundlichen Geldwechslerinnen und Verkäuferinnen abschrecken, im Herzen sind die Russen wirklich liebe Leute.
Grüße aus Berlin
Conrad
Ich war zu faul schöne Fotos zu machen, sodass ich sehr froh über die schicken Bilder von Mario und Laura bin, die mir netterweise zur Verfügung gestellt wurden.
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