Da wir nun doch schon eine ganze Weile in Indien verweilen und täglich in der indischen Tageszeitung stöbern, können sich ganz gut einschätzen, was den gewöhnlichen Inder in seinem Leben bewegt.
Das wohl wichtigste: Essen. Besonders in Anekal kann man 100€ darauf verwetten, dass man als erstes von einer Person, die man trifft, gefragt wird, ob man schon gegessen hat. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob der Gegenüber einen davor beim Essen gesehen hat oder man gerade dabei ist Nahrung zu sich zu nehmen.
So nicken wir inzwischen nur noch schwach, wenn wir: uuutaa aiitaaa? (Kannada für "schon gegessen?") hören.
Es ist also sehr wichtig, dass gegessen wird, allerdings nicht wie. Tischmanieren spielen eine sehr weit untergeordnete Rolle. Es wird nicht auf die anderen Leute gewartet, jeder isst und steht auf, wann er will und so wundern wir uns auch nicht mehr, wenn eine der Schwestern genüsslich rülpst und sich die Fischgräten aus den Zahnzwischenräumen pult.
Beim Dinieren geht es also um die bloße Kalorienaufnahme, geredet und sich benommen wird später. Beliebt bei vielen Indern (wie bei so vielen Menschen): Das Beschweren. Und zwar über den immer schlimmer werdenden Verkehr, den Schmutz und Smog, die Verkehrstoten oder wie überall die Politik. Doch so richtig möchte niemand die Sachen selbst in die Hand nehmen. Anstatt denn ÖPNV zu nutzen, den Müll nicht auf die Straße zu werfen, wird lieber protestiert was das Zeug hält und Beschwerdebriefe an die Zeitungen geschickt. Allerdings gibt es auch wirkliche Gründe sich zu beschweren. Wird Geld für Sanierungsarbeiten bereitgestellt, verliert sich mindestens die Hälfte im Korruptionssumpf. Die Straßen bleiben löchrig, die Gehwege unbenutzbar und Müllberge gammeln am Straßenrand vor sich hin, bis sie von irgendwem angezündet werden.
Aber auch der normale Bürger ist kein Unschuldslamm und besticht hier und da Leute um eher das Gas zu bekommen, den Führerschein nicht abgeben zu müssen oder die schlecht verhaltenden Blagen auf der Schule zu lassen. 75% aller Häuser sind illegal gebaut, da entweder die Steuer durch einen günstigeren Kaufpreis und eine Extrazahlung an umgangen wird, oder der Abstand zum nächsten Haus viel zu klein ist, do have gegen ein nettes Geschenk drückt der Offizielle alle Hühneraugen zu und das Haus bleibt stehen. Einerseits beschweren sich die Inder über die schlimme Korruption, doch sind die meisten selbst täglich in kleine aber feine Bestechlichkeiten verwickelt.
Sonstige Themen der Zeitung:
Sie Seen von Bangalore sind viel zu dreckig, hier und da sterben 5 Menschen, weil sie von einem LKW oder Bus zerquetscht werden (mind. 1mal täglich), ein paar böse Jungs haben der Oma die Goldkette gemopst und sind dann auf dem Motorrad geflüchtet, Leute machen ein Riesentheater, weil neuerdings auch die Mitfahrer auf dem Motorrad einen Helm tragen müssen und noch einmal gammelt der Müll an unzähligen Stellen vor sich hin oder Hunde terrorisieren die Nachbarschaft.
Wenn man von den terroristischen Abschlägen im Norden mal absieht ist es aber doch relativ ruhig in Indien. Zwar lassen sich die Gemüter schnell erhitzen und ein Dieb wird von der Dorfgemeinde krankenhausreif geprügelt, bevor er der Polizei abgeliefert wird, doch kommt es bei 1,2 Milliarden Menschen zu erstaunlich wenig Zwischenfällen. Passt man im Straßenverkehr ein wenig auf, ist ist Indien wohl zur Zeit ein sichererer Ort, als der Kölner Hauptbahnhof. Nicht ganz so ruhig läuft es in der Politik.
Dies Kongresspartei und die hindunationalistische Partei bekämpfen sich bis auf Blut und zerren sich abwechselnd vor eine Vielzahl von Gerichten. Hier und da fliegen Korruptionsskandale auf und in einigen Bundesstaaten wird nach Lust und Laune Kuhfleisch oder Alkohol verboten. Darüber beschwert sich sie Opposition natürlich immens und eine neue Debatte ist vom Zaun gebrochen. Mischt sich dann noch ein bekannter Bollywoodstar ein, explodiert das Fass. Millionen Inder wollten den neuen Film eines Schauspielers boykottieren, weil er öffentlich machte, dass seine Freundin die angeblich wachsende Intoleranz im Land bemängele. Der Fall, dass vorher ein Muslim und seine Familie gelyncht wurde, da Dorfbewohner Kalbfleisch bei ihm vermuteten, ließen sie dabei natürlich außer acht.
Zwar bleiben die meisten Beschwerden und Debatten in Indien die Gleichen und man ignoriert gerne Artikel, die zum 100. mal darüber berichten, wie schlecht das Kuhfleischverbot in Bundesstaat XY ist, doch kann man sich bis 1.000.000.000 Menschen sicher sein, dass auch immer etwas unerwartet spannendes in Indien passiert und so wird es uns und dem gewöhnlichen Inder nicht langweilig im Alltag.
Liebe Grüße kurz vor unserem Flug nach Sri Lanka,
Conrad und Elisa
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