Es ist Advent im beschaulichen Anekal und wir sitzen gemütlich mit Stollen und einer heißen Schokolade am Tisch und hören Weihnachtslieder. Haha. Das einzige was bei uns im Moment heiß ist, ist das Wetter. Irgendwie möchte man einfach nicht in die Weihnachtsstimmung kommen, wenn einem bei 30 grad die pralle Sonne den Buckel versengt. Nach einer kurzen kühlen Zeit mit viel Regen ist es nun wieder richtig warm geworden und wir schwitzen am 3. Advent in T-Shirt und Shorts. Aber auch sonst ist jetzt hier noch nicht viel von einer Vorweihnachtszeit zu spüren. Ab und zu findet man nach längerem Suchen ein Weihnachtsangebot in der Zeitung, vergleicht man diese dann aber mit den Diwali Angeboten erscheinen einem diese Anzeigen jedoch mehr als kümmerlich. In den Hostels werden zur Zeit große Krippen gebaut und einige Lieder und Tänze für die bald anstehende Weihnachtsfeier geübt. Ansonsten ist aber auch in den christlichen Einrichtungen nicht viel los und selbst die Brüder und Schwestern scheinen von den Adventssonntagen noch nie etwas gehört zu haben.
Besonders schmerzlich vermissen wir allerdings das leckere Weihnachtsgebäck, zwar haben wir nach einigen Backstunden in Bangalore schon alle mit unseren bunten Ausstechplätzchen versorgt, jedoch können diese in keiner Weise den Dresdner Christstollen oder Mamas legendäre Liegnitzer Bomben ersetzen. Egal wie sehr wir es auch versuchen in so eine richtig weihnachtliche Stimmung werden wir dieses Jahr wohl nicht mehr kommen, aber seien wir mal ehrlich: Sonnenschein und 30 Grad im Dezember sind doch auch nicht zu verachten.
Abseits unserer erfolglosen Suche nach dem Advent in Indien haben wir allerdings auch eine Menge zu tun. Die Bohnen im Boys- und Girlshostel wachsen uns wortwörtlich über den Kopf und benötigen jede Menge Pflege. Nachdem das Medical Camp eine Woche der Ragiernte zum Opfer gefallen ist, geht es nun auch wieder regelmäßig in die umliegenden Dörfer, wo auch schon mal versucht werden muss einer alten Frau zu erklären das eine große Menge an Schlaftabletten nicht die Lösung sein kann und eine halb abgeschnittene Zehe neben Kühen und Hühnern verarztet werden muss.
Das Englisch unterrichten läuft weiterhin auf Hochtouren und man bekommt immer mehr interessante Geschichten über da Leben der Hostelkids heraus. So wurde einer der Boys von der Polizei in diese Einrichtung gebracht, weil er bis zu seinem 10. Lebensjahr in einer Ziegelsteinfabrik gearbeitet hat, anstatt die Schule zu besuchen. Die Englischstunden sind also für beide Seiten eine interessante Sache, da auch wir viel über unser Leben in Deutschland erzählen und ganz nebenbei wird dann auch noch aus einem "How much tired I was it seems" ein vernünftiger Satz. Ab und zu hacken wir auch Holz, schaufeln Erde von A nach B, richten das Volleyballfeld wieder her oder arbeiten in der Schulbibliothek. Alles in allem kann man sagen: zur Zeit sind wir gut ausgelastet.
Ein Erlebnis der letzten Zeit wird uns allerdings noch länger im Gedächtnis bleiben. Unser Besuch im Government hospital (natürlich als Medizinstudenten). Man nehme ein DDR- Schulgebäude aus den 50er-Jahren, lasse es noch ein wenig verfallen und packt dann 1000 kranke Menschen mit 4 Doktoren in die kargen und eher etwas unhygienischen Räumchen. Obwohl "kranke" Menschen auch schon eine Übertreibung ist, denn unter die wirklich hilfsbedürftigen Menschen schummeln sich, wie uns der Doktor versicherte, zum Großteil Leute, die zufällig am Krankenhaus vorbeikommen und die günstige Chance auf kostenlose Schmerztabletten und Spritzen nicht ungenutzt wissen wollen. So sitzen die Ärzte also in den besenkammergroßen Sprechzimmern und fertigen in 5 Minuten 10-15 Personen ab die nach irgendwelchen Medikamenten und vor allem nach Spritzen fragen, da hier viele fest davon überzeugt sind, dass sonst sowieso nichts hilft. Hintereinanderweg werden die Wünsche der Patienten in Rekordzeit auf kleine Papierschnipsel gekritzelt, weil die Schnäppchenjäger sonst sowieso nicht abgewimmelt werden können. Steuergelderverschwendung vom Feinsten. Aber auch sonst ist das Erscheinungsbild der medizinischen Anstalt eher gruselig und wir haben uns nun doch fest vorgenommen: wir werden hier lieber nicht ernsthaft krank.
Uns wurde jedoch von unserem lieben Arzt versichert, dass es in der nahen Umgebung auch wesentlich bessere und gepflegtere private Krankenhäuser gibt. Eltern und andere besorgte Menschen seien somit hoffentlich beruhigt.
Liebe Grüße aus dem unweihnachtlich warmen Indien,
Conrad und Elisa
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