Da blinzelt man einmal, weil einem der indische Staub beim Mopedfahren in die Augen geblasen wird und schon ist 1/4 Jahr um. Das ist eine sehr lange Zeit, doch haben wir in den 3 Monaten mehr erlebt als in den vielen Jahren davor zusammen. Doch das kann man ja alles in den vorherigen Posts, die unsere gesamte Zeit dokumentieren nachlesen ;) . Viel wichtiger ist uns die Frage: In wie weit hat uns unser Verbleib in Bangalore und Anekal verändert?
Insgesamt muss man sagen, dass wir uns im indischen Alltag sehr gut zurechtfinden. Wir benutzen die öffentlichen Verkehrsmittel (öfter als die meisten unserer Bekannten in Bangalore, die ihren eigenen Fahrer haben), wir wissen wo wir die günstigen, aber trotzdem sehr leckeren Straßenrestaurants finden und was man sich am besten bestellen sollte um nicht dem Schärfetot zum Opfer zu fallen. Wir haben uns an die Essgewohnheiten gewöhnt, handeln sehr schlau um unsere geforderten Touripreise zu drücken und wir finden in einer 11 Millionen Einwohner Stadt locker mit dem Taxi nach Hause, auch wenn der Fahrer noch nie in diesem Teil der Stadt war. Wir wundern uns nicht mehr, wenn Personen zu einem Treffen ein, zwei Stündchen zu spät kommen, sondern nehmen alles mit einer neuerlernten Gelassenheit hin. Doch nicht nur gelassener, auch selbstsicherer und verantwortungsvoller sind wir geworden. Unseren Urlaubstrip nach Pondicherry haben wir komplett alleine organisiert und auch in Bangalore bewegen wir uns ohne Probleme alleine durch das Wirrwarr von 1000enden Häusern, Straßen und Kühen. Unsere Ansprüche an Unterkunft und Verpflegung haben wir den einfachsten Verhältnissen angepasst, sodass wir es gut in kleinen Hüttchen, auf dem Boden schlafend, aushalten können. Wir waschen unsere Wäsche von Hand, essen nur zu den geregelten Zeiten und verzichten auf Fernsehen oder sonstigen Luxus (Unsere Paradieszeit in Bangalore ausgenommen). Betrachtet man all diese Punkte könnte man meinen, wir sind zu waschechten Indern geworden, allerdings gibt es neben unserer Haut und Haarfarbe auch noch andere Dinge die uns noch immer als unbeholfene Ausländer aufdecken. Zwar haben wir uns an das Essen gewöhnt, sitzen aber trotzdem mindestens einmal in der Woche weinend am Tisch, weil wir eine versteckte Chilischote übersehen haben, die zwischen die Bohnen gemogelt wurde. Auch haben wir es aufgegeben mit der Hand zu essen, da wir bei diesen Versuchen 4 Mal so lange brauchen wie die anderen Beteiligten und sich dann doch immer mal das ein oder andere Reiskorn mit ordentlich Soße auf das frische T-Shirt verirrt. Zwei Sachen bei denen wir sicher sind, dass wir uns auch in Zukunft nicht daran gewöhnen können: Schmutz und Lärm. Die Versuche diese Belastungen weitestgehend zu ignorieren scheitern spätestens dann, wenn den Nachbarn am Abend einfällt, dass sie ihr Haus bis zum nächsten Morgen fertig bauen wollen und die gesamte Nacht hämmern, hacken, bohren und sonstige ohrenbetäubende Geräusche fabrizieren, nur damit die nächste Nacht mit ordentlich Trommelgedröhne gefeiert werden kann. Sind die Menschen zu müde um Lärm zu machen, sind die Hunde bereit einem in diesen Nächten den Schlaf zu rauben. Um 3 Uhr nachts stimmen dann alle 100 Hunde der Nachbarschaft ein gemeinsames Schlafgeheule an, da freut man sich so richtig auf das Geschreie der Moschee um 5 Uhr morgens...
In den Hostels wird zwar darauf geachtet, dass nicht zu viel Dreck herumgammelt und Fliegen oder Mücken anzieht, allerdings ist der komplette Rest Anekals unter einen dicken Schicht von Staub und Müll bedeckt, der dann spätestens beim nächsten Regen gleichmäßig über alle Straßen und Wege verteilt wird. Regnet es mehr als 30 Minuten ist es kaum möglich einen Schritt vor den anderen zu setzen ohne in einem Schlammloch zu versinken. Durch Flipflops wird der Matsch dann auch noch fröhlich über Beine und Rücken verteilt, sodass man wutentbrannt über die indischen Straßenkonstrukteure und befleckt wie ein Streuselkuchen am Ziel ankommt. Insgesamt sind wir in Anekal zu sehr vom guten Wetter abhängig. Regnet es wie in den vergangenen 2 Wochen so gut wie durchgehend, werden Klamotten und Bettzeug schon recht siffig, warmes Wasser gibt es nur aufgewärmt aus der Küche und Wäsche waschen und trocknen kann man komplett vergessen. Auch fallen alle möglichen Programmpunkte wie das Medicalcamp, der Gartenbau und die Nachmittagsspiele wegen Regen ins Wasser (Haha). In Deutschland nimmt man sich halt einfach einen Regenschirm mit wenn es regnet, doch hier bestimmt das Wetter unseren gesamten Tagesablauf.
Zwar sind wir noch nicht in allen Aspekten richtige Inder, aber an das Leben hier haben wir uns trotzdem gut gewöhnt. Man kann auf jeden Fall sagen, dass die Zeit bis jetzt uns viel für das Leben gebracht hat. Richtige innere Ruhe lernt man erst, wenn man 1 1/2 Stunden auf die Gastmutter wartet, weil sie doch noch einen Zwischenstopp ganz woanders einlegen musste und man lernt ein normales Bett mit einer funktionierenden Dusche sehr viel mehr zu schätzen, wenn man auf einer dünnen Matratze auf dem Boden schläft und sich nur mit kaltem Wasser waschen kann. Erstaunlich selbstständig sind wir mit unseren jungen 18/19 Jahren geworden und können es kaum erwarten, auf uns allein gestellt Sri Lanka zu erkunden. Man lernt auch erst die wahren Dinge im Leben zu schätzen wenn man auf Dinge wie Geld und Handy verzichten muss. In den letzten 3 Wochen habe ich munter mit 4€ im Portmonee (Bargeld wurde geklaut, Kreditkarte verloren) und ohne Handy (unglücklicher Absturz vom Bett auf den Steinboden) gelebt und mich wesentlich freier als zuvor gefühlt. Wir haben unzählig viele liebe Menschen kennengelernt, ob unsere Familien und Freunde in Bangalore, die tollen Doktoren, die munteren Hostelkids oder Brüder und Schwestern in Anekal. Beinahe täglich werden wir zu verschiedensten Personen nach Hause auf eine Tasse Tee oder Kaffee eingeladen, sodass der Verlust von Handy und Geld kein bisschen stört, da man vor lauter Arbeit und zwischenmenschlicher Interaktion eh keine Zeit für Schnickschnack hat. Falls sich doch mal ein Notfall (wenn z.B. Das Klopapier alle ist) ereignen sollte können wir uns 100% sicher sein: der andere unseres harmonisierenden Duos wird alles erdenkliche in der Welt versuchen um eine Lösung für das Problem zu finden.
Indische Grüße,
Conrad und Elisa
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